Die Kerninflation – Grundlage für geldpolitische Entscheidungen
Notenbanken benötigen eine geeignete Inflationskennziffer als Grundlage für ihre geldpolitische Entscheidungen. Umstritten ist jedoch, ob bestimmte Produkte oder Dienstleistungen, die starke saisonale Preisschwankungen aufweisen oder deren Preisentwicklung nicht oder nur eingeschränkt auf den Marktmechanismus einer Volkswirtschaft zurückzuführen ist, in die Inflationsberechnung einbezogen werden sollten. Das Konzept der Kerninflation bemüht sich um Ermittlung der dauerhaften Inflation unter Ausschluss lediglich temporärer Preisveränderungen.
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Was bedeutet „Kerninflation“?
Bei der Ermittlung der Kerninflation (wird auch im deutschsprachigen Raum gerne als „Headline Inflation“ bezeichnet) bleiben die Preisveränderungen bestimmter Güter oder Dienstleistungen mit dem Ziel unberücksichtigt, die grundlegende Preistendenz innerhalb einer Volkswirtschaft ohne Sonderfaktoren abzubilden. Preisentwicklungen, deren Ursachen nicht innerhalb einer Volkswirtschaft liegen, saisonal bedingt sind oder auf staatlichen Interventionen beruhen, werden eliminiert.
Der „harmonisierte Verbraucherpreisindex“
Ein Verbraucherpreisindex basiert auf einem gewichteten Warenkorb, der die Bedeutung bestimmter Konsumgüter für Verbraucher bei der Inflationsberechnung widerspiegelt.
Nach EU-weit einheitlichen Regeln wird ein „harmonisierter Verbraucherpreisindex“ (HVPI, auch HICP, „Harmonised Index of Consumer Prices“) erhoben, dem allerdings keine identischen nationalen Warenkörbe der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zugrunde liegen, damit nationale private Verbrauchsbesonderheiten einbezogen bleiben. Die Berechnung eines harmonisierten VPI innerhalb der Europäische Union ist wegen der aus historischen Gründen unterschiedlich gestalteten nationalen Verbraucherindizes erforderlich, um eine internationale Vergleichbarkeit von Inflationsraten herzustellen. Der Berechnung des HVPI sowohl in den einzelnen Ländern der Eurozone als auch für die Eurozone insgesamt liegt die Verordnung (EG) 2494/95 des Europäischen Rates vom 23.10.1995 über harmonisierte Verbraucherpreisindizes zugrunde.
Das HVPI-Konzept basiert auf der Überzeugung, dass auch externe Preisschocks (z. B. durch starke Energiepreisveränderungen) und Zweitrundeneffekte (Weitergabe gestiegener Kosten durch Unternehmen) dauerhafte Auswirkungen auf die Inflation haben können und daher grundsätzlich in die Berechnung von Inflationsindizes einfließen sollten, um so bei den Entscheidungen der Geldpolitiker Berücksichtigung zu finden. Sonderfaktoren fließen nicht oder nur in begrenztem Umfang in die Ermittlung der Inflationsrate ein.
Abgrenzung zwischen HVPI und Kerninflation
Der Begriff der Kerninflation ist nicht einheitlich definiert.
In der Eurozone wird unter „Kerninflation“ (auch „Kernrate der Inflation“) zumeist eine HVPI-Inflationsrate verstanden, die bereinigt wird um die Preisentwicklung von Lebensmitteln, da diese durch staatliche Interventionen beeinflusst wird („administrierte Preise“), sowie von (zumeist importierten) Energieträgern wie Erdgas und Erdöl, deren teilweise heftigen Preisentwicklungen überwiegend von Faktoren außerhalb der Volkswirtschaften der Eurozone abhängen.
Dagegen schließt z. B. die Schweizerische Nationalbank bei der Ermittlung ihrer „Kerninflationsrate“ neben Nahrungsmitteln und Energieträgern auch Tabak, Treibstoffe und Saisonprodukte aus. Der Anwendung eines solchen weiter gefassten Kerninflationsbegriffs liegt die Annahme zugrunde, dass externe Preisimpulse und saisonale Preisschwankungen generell keinen Einfluss auf Notenbankentscheidungen haben sollten.
Wie erfolgt die Erhebung und Veröffentlichung des HVPI in Deutschland und in der Europäischen Union?
Zunächst wird von den zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedsstaaten ein nationaler HVPI unter Herausrechnung von Lebensmittel- und Energiepreisen ermittelt. Das Statistische Bundesamt (DESTATIS) berechnet traditionell den Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) sowie seit 1997 auch den deutschen HVPI. Der deutsche HVPI unterscheidet sich vom deutschen VPI dadurch, dass er selbstgenutztes Wohneigentum sowie Ausgaben für Glücksspiele nicht berücksichtigt und eine Korrektur von Vergangenheitswerten nicht vorgenommen wird.
Die Veröffentlichung vorläufiger nationaler Werte erfolgt durch DESTATIS gewöhnlich zwei Arbeitstage vor Ende des Monats, auf den sich die Berechnung bezieht. Die endgültigen HVPI- und VPI-Daten veröffentlicht DESTATIS ungefähr zur Mitte des Folgemonats einschließlich von detaillierten Teilergebnissen. Eine öffentliche Zugriffsmöglichkeit auf die DESTATIS-Daten besteht über die Datenbank GENESIS-Online.
Eurostat, das in Luxemburg ansässige Statistische Amt der Europäischen Union überwacht die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bei der Einhaltung der Regeln zur Ermittlung der nationalen HVPI. Auf deren Grundlage ermittelt Eurostat die EU-“Kerninflationsrate“ (HVPI nach Herausrechnung von Energieträgern und Lebensmitteln) – nämlich die Preisindizes für die Europäische Union sowie für den europäischen Wirtschafts- und Währungsraum. Das Gewicht der einzelnen Staaten bei der Berechnung der „Kerninflationsrate“ bemisst sich nach dem jeweiligen nationalen Volumen des privaten Verbrauchs. Unterschiedliche Währungseinheiten innerhalb der EU werden nach Kaufkraftparitäten berücksichtigt. Die festgestellten Monatswerte veröffentlicht Eurostat drei Wochen nach dem jeweiligen Monatsende.
Grafik: Inflationsrate in Deutschland und in der Eurozone im Vergleich
Welche Rolle spielt die „Kerninflation“ für die geldpolitischen Maßnahmen der EZB?
Für die Europäische Zentralbank ist der um Lebensmittel- und Energiepreise bereinigte HVPI („Kerninflationsrate“) der maßgebliche Indikator für geldpolitische Entscheidungen.
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