Politische Diskussion um die kalte Progression
Die sogenannte „kalte Progression“ führt bei Einkommenserhöhungen zu einer überproportionalen Mehrbelastung von Einkommensteuer-Zahlern und kann sogar einen Rückgang der Realeinkommen auslösen. Die letzte Anpassung der Steuertarife zum Ausgleich der kalten Progression erfolgte im Jahr 2010. Politisch umstritten ist, in welcher Form und wann ein Ausgleich der kalten Progression künftig erfolgen sollte.
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Was bedeutet „alte Progression“?
Kalte Progression bedeutet, dass Einkommenssteigerungen ganz oder teilweise durch Inflation und/oder durch einen steigenden Steuertarif aufgezehrt werden.
Kalte Progression im engeren und im weiteren Sinn
Der Begriff „kalte Progression“ bedeutet im engeren Sinn, dass das Realeinkommen inflationsbedingt fällt, obwohl das Nominaleinkommen z. B. durch eine Gehaltserhöhung ansteigt. Wird die Inflationsrate nicht bei der Gestaltung eines progressiven Steuertarifes berücksichtigt, so erhöht sich für Steuerzahler im Laufe der Jahre der durchschnittliche Steuersatz, selbst wenn sich ihre reale Kaufkraft aufgrund von Inflation nicht erhöht oder sogar vermindert. Die Höhe des Gesamteffekts einer „kalten Progression im engeren Sinn“ hängt maßgeblich davon ab, wie hoch die Inflationsrate ist, die an der realen Kaufkraft des Nominaleinkommens zehrt. (Das Nominaleinkommen ist das Einkommen ohne Berücksichtigung einer Kaufkraftveränderung durch Inflation. Das Realeinkommen bezieht sich dagegen auf die am derzeitigen Preisniveau für Produkte und Dienstleistungen gemessene Kaufkraft des Einkommens.)
Kalte Progression im weiteren Sinn heißt, dass der Anstieg des Einkommensteuer-Aufkommens des Staates höher ausfällt als der Anstieg der Nominaleinkommen.
Auswirkungen der kalten Progression auf die Steuereinnahmen des Staates
Die kalte Progression bewirkt für den Staat einen im Vergleich zur Entwicklung der Wirtschaftsleistung überdurchschnittlichen Anstieg des Steueraufkommens. Da diese staatlichen Zusatzeinnahmen ohne eine Veränderung der Steuergesetze erzielt werden, wird auch von „heimlicher Steuererhöhung“ gesprochen.
Die zusätzlichen Steuermehreinnahmen durch kalte Progression belaufen sich derzeit auf 1,6 bis 1,7 Milliarden Euro je Prozent nominales Wirtschaftswachstum.
Welche Steuerzahler sind besonders von der kalten Progression betroffen?
Der Effekt der kalten Progression entsteht insbesondere aufgrund des im unteren und mittleren Einkommensbereich besonders steilen Anstiegs des Steuertarifs. Auch der Grundfreibetrag und weitere steuerliche Frei- und Abzugsbeträge verstärken die kalte Progression, da bei Überschreiten solcher Betragsgrenzen ein sprunghafter Anstieg der Einkommensteuer stattfindet.
Daher sind kleinere und mittlere Einkommen stärker von der kalten Progression betroffen als größer Einkommen. Aber auch diejenigen, die den Spitzensteuersatz bereits erreicht haben, wachsen durch kalte Progression zunehmend in die Höchstbesteuerung hinein.
Politische Diskussionen: Wie der kalten Progression entgegenwirken?
Ab der nächsten Legislaturperiode will die Bundesregierung alle zwei Jahre eine Überprüfung des Phänomens der kalten Progression durchführen.
Ursprünglicher Plan: Korrektur des Steuertarifs 2013 oder 2014
Ursprünglich war bereits für die Jahre 2013 oder 2014 eine Korrektur des Steuertarifs vorgesehen. Angela Merkel hatte jedoch Mitte Juli 2014 erklärt, dass es derzeit keinen finanziellen Spielraum für die Reduzierung der kalten Progression gebe.
SPD-Spitzenpolitiker: Gesprächsangebot an die Unionsparteien
Ende Juli 2014 bot Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Unionsparteien rasche Gespräche zur Abschaffung der kalten Progression an. Gabriel wies auf die seiner Meinung nach bestehenden Spielräume zur Reduzierung der kalten Progression hin, die sich aus der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes ergäben. Der Mindestlohn führe nicht nur zu höheren Steuereinnahmen, sondern auch zu einem Anstieg der Einzahlungen in die Sozialkassen, so dass sich deren Bedarf an staatlichen Zuschüssen verringere. Gabriel erwartet, dass die Regierungskoalition in Berlin bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode im Herbst 2017 zu einem Verhandlungsergebnis zum Thema kalte Progression gelangen wird.
Auch SPD-Spitzenpolitiker wie Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag plädieren für eine Anpassung des Steuertarifs, soweit eine neutrale Finanzierung möglich ist.
Angela Merkel und und Wolfgang Schäuble: Derzeit kein finanziellen Möglichkeiten zur Reduzierung der kalten Progression
Zwar versprachen die Unionsparteien im Bundestagswahlkampf 2013, die kalte Progression abzumildern und die Steuertarife an die Geldentwertung anzupassen. Aktuell sieht das Bundesministerium der Finanzen jedoch im Gegensatz zum Bundeswirtschaftsministerium keinen Spielraum zur Reduzierung heimlicher Steuererhöhungen durch kalte Progression. Belastbare Zahlen zu den Auswirkungen der Einführung des Mindestlohnes auf die Staatseinnahmen und Staatsausgaben lägen, so das Bundesfinanzministerium, noch nicht vor.
Ohnehin reduziert sich die Problematik der kalten Progression aufgrund der seit längerer Zeit niedrigen und weiter sinkenden Inflationsrate.
Die Positionen der Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag
Schon Ende April 2014 warf Lia Paus, Sprecherin der Grünen für Steuerpolitik der Bundesregierung steuerpolitisches Versagen auch in der Frage der kalten Progression vor. Die Bundesregierung verbreite lediglich „heiße Luft“, obwohl doch die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen schon aus Gründen der Steuergerechtigkeit erforderlich sei.
Die Linkspartei sprach von „Untätigkeit“ und von einem „Armutszeugnis“ der Bundesregierung, die als Große Koalition nicht in der Lage sei, den Einstieg in eine Gerechtigkeitswende zustande zu bringen.
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